pascal convert

1998 - 2005

Lamento

 

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Lamento est un recueil de cinq textes tirés de l'ouvrage du même nom, édité par le Musée d'Art Moderne Grand-Duc Jean, (Mudam Luxembourg), à l'occasion de l'acquisition du Musée des trois sculptures de Pascal Convert autour de la question de la photographie de presse.


So kommt der Tag, an dem sich ein Kapitel eines Abenteuers schließt.
Drei Skulpturen zeugen davon.
Ganz besonders dank Marie-Claude Beaud und des Teams des Musee d'Art Modeme
Grand-Duc Jean, aber auch dankJean-Hubert Martin und Jean-Louis Froment.
Dank Georges Merillon, Talal Abu Rahmeh und Hocine Zaouiw;
auf deren Vertrauen und Freundschaft ich immer bauen konnte.
Dank der geduldigen Händen von Eric Saint Chaffray und Claus Velte.

010203

Verhängnisvolle Schönheit

Wenn man ein Pressefoto als „ästhetisch" bezeichnet, bedeutet das im Allgemeinen immer „zu schön", „zu schön, um wahr zu sein". So untergräbt die zu große Plastiz ität eines Pressebildes dessen Glaubwürdigkeit, seine Aussagekraft, seinen journalistischen Wert. Vielmehr wird Schönheit sogar mit Falschheit in Verbindung gebracht. Diese stark verbreitete Ansicht wird heute mit einer neuen Situation konfrontiert: Wenn uns die Fernsehbilder vom 11. September im Gedächtnis bleiben, liegt das zum einen an der politischen und historischen Bedeutung des Ereignisses, zum anderen aber auch an ihrer plastischen Schönheit. Wie schrecklich so etwas auch nur zu denken, könnte man einwerfen. Doch ist es nicht viel gefährlicher, nicht über die faszinierende Schönheit der Zerstörung nachzudenken, eine Schönheit, die Ben Laden als solche von vorneherein einkalkuliert hatte?

Die Schönheit der Bilder hält erneut Einzug in die Politik

Dieser Anfang des 21. Jahrhunderts lehrt uns, dass die Rückkehr kultureller,wirtschaftlicher und vor allem religiöser Konflikte nicht ohne die Rückkehr einer politischen Nutzung der Macht der Bilder einhergeht, angefangen bei der Zerstörung der riesigen Buddha-Statuen in Afghanistan durch die Taliban bis hin zur Zerstörung der Zwillingstürme durch Al Kaida. Infolgedessen ist es notwendig, einen unzensierten Blick auf diese bemitleidenswertenen Bilder zu richten, die wir zwar genussvoll konsumieren, aber gleichzeitig als Lügengebilde brandmarken. Vielleicht zeigen sie uns die Welt nicht so, wie sie ist, sondern das, was aus ihr wird, und setzen so den konkreten und zugleich imaginären Rahmen historischer Ereignisse (2).

Am Anfang

Drei Bilder, drei Ikonen der letzten zehn Jahre werden uns als Leitfaden dienen, bei dem Versuch, in den Strudeln der Zeit zu lesen. Warum gerade diese drei Bilder, denen man lange vorgeworfen hat, und es weiterhin tut, nichts weiter als die Kulissen einer Szenographie des Mitleids zu sein? Vielleicht weil wir den Bildern manchmal nicht genug Zeit lassen, zu uns zu sprechen und uns mitzuteilen, was sie uns zu sagen haben. Manchmal stottern die Bilder. Ungeduldig glauben wir, wir hätten sie verstanden, und schneiden ihnen das Wort ab, noch bevor wir sie zu Ende angehört haben.

Drei Bilder also. Zwei aus der Dunkelheit hervorgetretene und in einer Art Rückblick unserer Geschichte eingefangene Fotografien -die „Pieta" des Kosovo von Georges Merillon (Gamma, Kosovo, 1990) und die „Madonna" von Bentalha von Hocine Zaourar (AFP, Algerien, 1997) - sowie eine von Talal Abu Rahmeh gefilmte Videosequenz vom Tod des „kleinen Mohammed" Al Dura in Netzarim (Kommentar Charles Enderlin, France 2, 2000).

„Madonna", „Pieta", „Beweinung Christi", „Kreuzabnahme", „Massaker der Unschuldigen", diese aus dem christlichen Wortschatz stammenden Begriffe könnten uns die Aufgabe erleichtern. Schließlich verbinde etwas sehr Einfaches diese drei Bilder: das aus der christlichen Kultur überlieferte Stereotyp des Mitleids. Anstatt über die Komplexität der Konflikte zu berichten, präsentierten die Fotoreporter eine Wirklichkeit, die aus Stereotypen und reflexartigen Bildern zusammengesetzt ist, mit der Absicht, dem westlichen Konsumenten eine für ihn verführerische Bildersprache darzureichen. Bilder, die sich verkaufen ... und natürlich verkauft sich das, was man bereits kennt.

Um dieses wirtschaftliche Ziel zu erreichen, ahmten bestimmte Bilder die Archetypen der abendländischen Malerei bis zur Schaffung eines neuen fotografischen Genres nach: das Opfer-Foto.

Dieses Genre erlebt ab dem Ersten Weltkrieg einen Aufschwung und bringt Bilder hervor, die zu den berühmtesten des 20. Jahrhunderts zählen: Tomoko und ihre Mutter von Eugene Smith (Minamata, Japan, 1972) oder die kleine terrorisierte Vietnamesin von Nick Ut. Diese Art von Fotografie ziele darauf ab, Schuldgefühle hervorzurufen, den Betrachter zu erschüttern und ihn gleichzeitig durch eine vertraute Bildersprache wieder zu beruhigen.

Aber seit den Neunzigerjahren hat der Zuschauer, der von einem nicht abbrechenden und unkontrollierbaren Strom an Bildern überschwemmt wird und Opfer einer Folge journalistischer Inszenierungen geworden ist (Landung in Mogadischu, erster Golfkrieg, gefälschtes Massengrab von Timisoara), das Vertrauen verloren und ist dauerhaft in Zweifel geraten. Denn wenn der „Golfkrieg nicht stattgefunden hat" (Jean Baudrillard), wie kann es dann Bilder davon geben? Diese Zweifel haben alle Bilder erfasst, die wir mittlerweile nur noch aus der Ferne betrachten. Doch was genau kann man von weitem sehen? Kann man überhaupt etwas betrachten, d. h. dazu „in Beziehung treten"?(3) In den fünf Jahren, die ich damit verbracht habe, anhand dieser drei Bilder Skulpturen zu erarbeiten, bin ith ihnen näher gekommen und wurden vor allem viele Fragen aufgeworfen. Wie kann es sein, dass man in drei muslimischen Ländern, im Kosovo, in Palästina und in Algerien, zu drei verschiedenen Zeitpunkten, 1990, 1997, 2000, wiederholt die christliche Ikonographie des Martyriums vorfindet?

Starr vor Entsetzen

Vor di esen drei aus der muslimischen Kultur stammenden Bildern sehen wir uns einem erlebten Martyrium, einem leid enden Opfermärtyrer gegenüber.

Vor allem konfrontieren sie uns mit dem Schmerz des Anderen, mit dem muslimischen Leid, mit dem Schicksal, das den Muslimen in der heutigen Welt vorbehalten ist. Was wir uns weigern zu sehen, kehrt mit voller Kraft zurück, selbst wenn wir den Schock durch eine christliche Deutung abmildern.

Gleichzeitig missbrauchen muslimische Fundamentalisten diese Bilder jedoch in nterschiedlichem Maße für ihre Zwecke. Ein Zeichen dafür, dass die radikal-islamischen Bewegungen zwischen 1990 und 2001 zu der Einsicht gekommen sind, dass es in ihrem Inte resse liegt, die Ikonographie des offensiven islamistischen Märtyrertums(4) - menschliche Bomben werden im Westen kaum auf Verständnis stoßen - durch eine Ikonographie des erlittenen Martyriums zu ersetzen, die eher Mitgefühl zu wecken vermag.

Die Geschichte dieser drei Bilder wäre somit die Geschichte einer schrittweisen Enteignung unserer Kultur. Der Wes ten sehe also der Übernahme seiner OpferIkonographie zum Zweck islamistischer Propaganda ohnmächtig zu. Des weiteren beobachte der Westen machtlos, wie weltweit Bilder in Umlauf gebracht werden, deren Bedeutung er nicht zu entschlüsseln weiß, da er sie nicht wirklich betrachtet - denn sie betrachten ihn (5).

Der 11. September 2001 stellt den Höhepunkt dieser Enteignung dar: Starr vor Entsetzen werden die Vereinigten Staaten per Liveschaltung Zeuge der Zerstörung der Symbole ihrer irtschaftlichen Vorherrschaft, dieser Welt, in der „die Sprache zu ersticken droht, weil die Wörter gleichgültig und sich einander gleichend wie Münzen getauscht werden." (6).

Aber die Zerstörung der Babel-Türme der globalisierten Wirtschaft stellt auch und vor allem die Zerstörung der visuellen Vorherrschaft der Vereinigten Staaten durch eine einfache Inj ektion der aus Katastrophenfilmen bekannten Vors tellungswelt in die Wirklichkeit im H erzen der Millionenstadt dar. Angesichts dieses Unglücks wollten die amerikanischen Verantwortlichen nur noch eines, diese Ruine aus metallenem Fleisch in ein gläsernes Gespenst verwandeln, da sie glaubten, die Bilder der Zerstörung auf diese Weise auslöschen zu können. Womit sie ihre Verunsicherung und ihre Angst vor einer Symbolik eingestehen, die sie nicht mehr beherrschen.

Diese drei Bilder erzählen uns die Geschichte eben dieser Enteignung. Und dieses Gefühl der Enteignung des Selbst, seiner Identität beschreibt nicht die Krise des Islam, sondern die des Westens. Die Anschuldigungen die Bilder, die mal als Ikonen der westlichen Welt beansprucht, mal als kolonialistische Relikte, mal als Propagandabild er islamistischer Extremisten bezeichnet werden und denen man vorwi rft, reine Inszenierungen (7), zu sein, sind die ersten Symptome einer Identitätskrise der westlichen Gesellschaft, einer Krise ihres Verhältnisses zu Bildern.

Pascal Convert

1 - Ce texte est inspiré d'un article publié dans un numéro spécial d’Art Press «Images et religions du livre» (novembre 2004). Il fait suite à trois articles parus dans Art Press : "Des images en mercure liquide" in n°251, nov. 1999, "Des images figées" in hors série "Représenter l'horreur", mai 2001 et "Médée l'algérienne" in n° 289, janv. 2003.

2 - Entretien entre Catherine Millet et Pascal Convert in "De Mémoires" , catalogue de l'exposition organisée par Philippe Dagen au Studio National du Fresnoy, Tourcoing, 2003, éd. Flammarion.

3 - Georges Didi-Huberman in "L'image brûle", conférence au Centre Georges Pompidou, juin 2004.

4 - Farhad Khosrokovar, Les nouveaux martyrs d'Allah, éd. Champs Flammarion, 2002.

5 - Georges Didi-Huberman. Ce que nous voyons, ce qui nous regarde, éd. de Minuit. 1992.

6 - André Neher, L’Exil de la Parole, éd. Seuil, 1970, p.114.

7 - On accusera par exemple La Madone de Benthala d'être un photomontage. Mais les accusations de mise en scène toucheront plus directement la scène de la mort de Mohamed Al Dura. Gérard Huber dans son livre Contre-expertise d'une mise en scène (éd. raphaël. 2003) parle de "mise en scène palestienne de la fausse mort de l'enfant palestinien (...)" p 222. On peut lire sur cette question mon texte "Des images figées" in: Art Press, hors série "Représenter l'horreur", mai 2001.